Radioaktivität

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$\newcommand{\dede}[2]{\frac{\partial #1}{\partial #2} } \newcommand{\dd}[2]{\frac{d #1}{d #2}} \newcommand{\divby}[1]{\frac{1}{#1} } \newcommand{\typing}[3][\Gamma]{#1 \vdash #2 : #3} \newcommand{\xyz}[0]{(x,y,z)} \newcommand{\xyzt}[0]{(x,y,z,t)} \newcommand{\hams}[0]{-\frac{\hbar^2}{2m}(\dede{^2}{x^2} + \dede{^2}{y^2} + \dede{^2}{z^2}) + V\xyz} \newcommand{\hamt}[0]{-\frac{\hbar^2}{2m}(\dede{^2}{x^2} + \dede{^2}{y^2} + \dede{^2}{z^2}) + V\xyzt} \newcommand{\ham}[0]{-\frac{\hbar^2}{2m}(\dede{^2}{x^2}) + V(x)}$ # Was ist Radioaktivität? Es gibt Isotope, welche nicht stabil genug sind, um lange Zeit zu überleben. Diese Isotope Zerfallen auf verschiedenen Zeitskalen zu anderen Isotopen, und setzen dabei Energie Frei. ## Massendefekt: Ihr kennt alle die bekannteste Formel aus der Modernen Physik: $E=mc^{2}$ Der Massendefekt ist eine direkte Konsequenz aus dieser Formel. Wir beobachten den Massendefekt bei zusammengesetzten Teilchen. Atome wiegen weniger als ihre Teile. (Weil bei ihrer Bildung aus Elementarteilchen Energie (lies masse) frei wird) Anders gesagt: Wenn ich ein Atom in Protonen und Neutronen aufspalten will, so brauche ich dazu Energie. Diese Energie liegt am Schluss (wenn ich alle Protonen und Neutronen separiert habe) in deren Masse vor. Achtung! Verwirrungsgefahr. Auch wenn wir von einer Kernspaltung Energie freisetzen können, so ist der Massendefekt trotzdem Positiv. Das kommt davon, dass die Kernspaltung nicht "fertig reagiert" das heist, das am Schluss nicht nur Protonen und Neutronen da sind, sondern eben Zerfallsprodukte. Diese Massendifferenz nennt sich Massendefekt, und lässt sich direkt per $E=mc^{2}$ zu Bindungsenergie umrechnen. $\Delta m = \textrm{Masse der Einzelteile} - \textrm{gemessene Masse} =Z(m_{p}+m_{e}) + (A-Z)m_{n} - m$ ## Energie einer Kernreaktion Als allgemeinere Darstellung von $E=mc^{2}$ lassen sich Kernreaktionen, wie etwa Kernspaltung oder Zerfälle betrachten. Weil wir wissen, dass Masse und Energie equivalent sind wissen wir folgendes: $A \to B_{1}+\ldots + B_{n}$ $\Delta mc^{2}=(m_{A}-(m_{B_{1}}+\ldots+m_{B_{n}}))c^{2}= (m_{A}- \sum\limits_{i=0}^{n} B_{i})c^{2} = E$ ## Isotope: ## Zerfallsarten: Je nachdem, aus welchem Grund das Isotop instabil ist, bieten sich verschiedene Zerfallsarten an. ### $\alpha$-Zerfall Das Atom hat zu viele Protonen und ist zu Schwer: $A>145$ $^{A}_{Z}X \to ^{A-4}_{Z-2}Y^{-2} + ^{4}_{2}He^{2+}$ Es wird ein Helium Kern (ohne elektronen!) ausgestossen ### $\beta^{-}$-Zerfall Das Atom hat zu viele Neutronen $^{A}_{Z}X \to ^{A}_{Z+1}Y^{+} + e^{-} + \bar \nu_{e}$ Es wird ein Elektron und ein Antineutrino ausgesendet ### $\beta^{+}$-Zerfall Das Atom hat zu viele Protonen $^{A}_{Z}X \to ^{A}_{Z-1}Y^{-} + e^{+} + \nu_{e}$ Es wird ein Positron und ein Neutrino ausgesendet ### $\epsilon$-Zerfall (Elektroneneinfang) Das Atom hat zu viele Protonen $^{A}_{Z}X \to ^{A}_{Z-1}Y^{*} + \nu_{e}$ Es wird ein Neutrino ausgesendet, und das Atom ist im angeregten Zustand Findet in konkurenz zu $\beta^{+}$ statt. ### $\gamma$-Zerfall Das Atom ist angeregt $^{A}_{Z}X^{*} \to ^{A}_{Z}X + \gamma$ Es wird ein hochenergetisches Photon ausgesendet. ### Andere Zerfälle: #### Cluster-Zerfall ### Warum das Neutrino* Long story short: Impulserhaltung Man beobachtet, das das emittierte Teilchen beliebige Energien haben kann. Bei einem Zerfall in zwei Teile ist jedoch via Impulserhaltung die Energie fest vorgegeben. Nur wenn noch ein drittes Teilchen da ist um einen Teil des Impulses zu puffern kann die Energie beliebig sein. ## Radioaktives Leiterspiel Um einen überblick über die Isotope zu haben gibt es sogenannte Isotopenkarten [Web version](https://www-nds.iaea.org/relnsd/vcharthtml/VChartHTML.html) Manchmal ist nicht nur ein Zerfall möglich. Die Zerfallsreihe spaltet sich dann also auf in mehrere Teile Die verschiedenen Zerfälle entsprechen darauf jeweils "Spielzügen" vom einen zum anderen isotop. # Kinetik des Zerfalls ## Einfacher Zerfall: Für jedes Atom eines bestimmten Isotops ist die Zerfallswahrscheinlichkeit gleich. Das heisst, die Anzahl Zerfälle die ich beobachte ist nur abhängig von der Anzahl der Atome Es ergibt sich daraus die folgende Differentialgleichung: $$\dd{N_X}{t}= -k N_X$$ "Die Veränderung des Stoffes ist Proportional zur Menge des Stoffes" Das Minus kommt davon, dass Zerfall den Stoff zerstört. Diese Veränderung des Stoffes lässt sich messen in Zerfälle pro Sekunde. Wir nennen die Veränderung **Aktivität** und ihre Einheit ist Bequerel Das $k$ in der Reaktion nennt sich **Zerfallskonstante** Wir lösen per Separationsansatz: $\frac{1}{N_X}dN_X \cong -kdt$ $\int\frac{1}{N_X}dN \cong \int -kdt$ $\ln(N_X) \cong -kt$ $N_X \cong e^{-kt}\cdot N_{X,0}$ Wir haben also exponentiellen Zerfall $X\to Y$ Wenn das Zerfallsprodukt stabil ist, so weis ich, das für jedes zerfallene $X$ ein $Y$ produziert wurde. Es gilt also: $$\dd{N_Y}{t}=-\dd{N_{X}}{t}$$ **Bemerkung** : Wir haben hier unbestimmt integriert. Je nach Aufgabenstellung lohnt es sich bestimmt zu integrieren: $\int_{N_{0}}^{N_{end}} \frac{1}{N}dN \cong -\int_{t_{0}}^{t_{end}}k dt$ $\ln(N_{end})- \ln(N_{0}) \cong -k(t_{end}-t_{0})$ $\ln(\frac{N_{end}}{N_{0}}) \cong -k(\Delta t)$ $$\frac{N_{end}}{N_{0}} \cong e^{-k(\Delta t)}$$ Dies eignet sich vor allem, wenn wir nicht von $t_{0}=0$ beginnen ### Halbwertszeit Bei radioaktivem Zerfall gibt es eine nützliche Konstante; die Halbwertszeit. Sie ist die Zeit, die es dauert, bis nur noch die Hälfte vom Stoff da ist. $$t_{\frac{1}{2}}$$ Sie lässt sich aus $k$ herleiten, indem wir $N_{end}=\frac{N_{0}}{2}$ setzen und nach $\Delta t$ auflösen $\frac{\frac{N_{0}}{2}}{N_{0}}=e^{-k\Delta t}$ $\frac{1}{2}=e^{-k\Delta t}$ $\ln(\frac{1}{2})\frac{1}{-k}=\Delta t$ $$\frac{\ln(2)}{k}= t_\frac{1}{2}$$ Insbesondere gilt also: $\frac{N_{end}}{N_{0}}=e^{\frac{-\ln(2)\Delta t}{t_{1/2}}}=2^\frac{-\Delta t}{t_{1/2}}=(\frac{1}{2})^{\frac{\Delta t}{t_1/2}}$ Mathematisch interessant ist auch die Lebenszeit $\tau$ $$\tau=\frac{1}{k}$$ # Zerfallsreihen ## Wasseranalogie: Dazu möchte ich zuerst eine Analogie einführen. Anstelle von radioaktivem Zerfall betrachten wir Abfluss von Wasser aus einem Behälter mit Loch. Die Abflussgeschwindigkeit ist Proportional zur Grösse des Loches und zum Druck beim Loch (also zum Wasserstand über dem Loch) (Ist tatsächlich so. Ihr könnt zuhause ein Experiment mit einem Milchbeutel nachstellen) Das Abfliessen verhält sich also wie radioaktiver Zerfall, wobei die Aktivität der Fliessgeschwindigkeit und die Stoffmenge der Wassermenge entspricht. ## Parallelzerfall Manchmal ist nicht nur ein Zerfall möglich. Die Zerfallsreihe spaltet sich dann also auf in mehrere Teile. Jede Zerfallsart hat eine Wahrscheinlichkeit einzutreten $w_i$ Die Entstehung von einem spezifischen Tochternukleid ist dann: $\dd{N_{i}}{t} = w_{i}\dd{N}{t}$ dh. $w_i$ Anteile von allen Zerfällen sind Zerfälle zu $i$ Da schlussendlich alle Zerfallsarten berücksichtigt werden müssen gilt: $w_{1}+ \ldots = 1$ Um die Anzahl erstellter Tochternukleide zu berechnen können wir in 2 Schritten vorgehen. 1) Berechne die gesammtzahl Tochternukleide ohne unterscheidung in $w_{1}, w_{2}, \ldots$ 2) Finde das Verhältnis der Tochternukleide. Dh. 1) $N_{w_{tot}}k = - \dd{N}{t}$ 2) $N_{w_{i}}=N_{w_{tot}}w_{i}$ Daraus erkennen wir insbesondere, das das Verhältnis der Tochternukleide zu jedem Zeitpunkt gleich bleibt (Angennommen am Anfang hatte es keine Tochternukleide) Wenn in jedem Moment das Verhältnis der Tochternukleide konstant bleibt, muss auch das Verhältnis der Entstehung gleich sein. Also gilt auch $\frac{N_{i}}{N_{j}}=\frac{w_{i}}{w_{j}}=\frac{k_{i}}{k_{j}}$ ## Reihenzerfall Oft ist das Resultat eines radioaktiven Zerfalls immer noch nicht stabil und zerfällt weiter. Es bilden sich dann sogenannte Zerfallsreihen ## Graphisches Verhalten Ihr müsst diese Aufgaben eigentlich nie Mathematisch lösen. Statdessen werdet ihr gefragt das Verhalten graphisch aufzuzeigen. Wichtig zu beachten ist hier: - Wir normieren die Y Achse mit der Anfangskonzentration. Damit sind die Grössen immer zwischen 0 und 1 - Die Summe aller Stoffe sollte immer =1 sein - Nach der Halbwertszeit sollte der erste stoff bei 0.5 der Anfangsmenge sein - Wenn wir nur Mutter und Tochternukleid haben, so schneiden sich die linien bei 0.5 ## Vernachlässigungen. Das exakte lösen von solchen Zerfallsreihen ist of sehr kompliziert weshalb wir Annäherungen verwenden. Mithilfe des Wassermodells lassen sich relativ intuitiv Vernachlässigungen treffen: - Sehr kleine Zerfallskonstanten im Parallelen (approx $5\%$) können vernachlässigt werden, sofern der andere Pfad nicht auch verlangsamt wird - Sehr grosse Zerfallskonstanten im Seriellen können vernachlässigt werden, weil alles einfliessende sofort wieder ausfliesst - Grosse Zerfallskonstanten in kurzen betrachteten Intervallen sind “instantan” - Kleine Zerfallskonstanten in kurzen betrachteten Intervallen sind 0 - Wenn unsicher ob etwas klein ist mal eine Zahl einsetzen # Anwendungen: ## Beispiel Radiocarbonmethode: Wir betrachten das Radionukleid $^{14}C$, welches natürlich in der Atmosphäre erzeugt wird, und eine konstante Konzentration annimmt (zerfall und entstehung sind gleich schnell) Ein lebender Organismus hat (da er im Austausch mit der Atmosphäre ist) immer das selbe verhältnis von stabilem $^{12}C$ zu instabilem $^{14}C$ Etwa $10^{-10}\%$ Wenn er stirbt, so wird kein neues $^{14}C$ mehr hinzugefügt, und ein exponentieller Zerfall setzt ein. Durch das Messen des Verhältnis $\frac{^{12}C}{^{14}C}$ Können wir das Alter bestimmen. ### Beispiel 1 Wir wissen: $t_{\frac{1}{2}} = 5730 yr$ $\frac{N_{14}}{N_{12}} = 10^{-10}\%$ beim Tod des Organismus Angenommen wir finden eine Mumie, und bestimmen den $^{14}C$ Gehalt als $0.7\cdot 10^{-10}\%$ Das entspricht $\approx70\%$ der Anfangsmenge Wie lange ist der Tod der Mumie her? Wir wissen: $N_{14}(t)=N_{14}(0)(e^{-kt})$ $\frac{N_{14}(t)}{N_{14}(0)} = e^{\frac{-\ln(2)t}{t_{0.5}}}=0.7$ $\frac{-\ln(2)t}{t_{0.5}} = ln(0.7)$ $t = -t_{0.5}\frac{\ln0.7}{\ln 2}$ $t\approx t_{0.5}\cdot 0.51$ $t\approx 2950 yr$ ### Beispiel 2 Abbau von Koffein Ein Kollege behauptet die Maximalmenge von Kaffe die er 2h vor einschlafen einnehmen kann ist eine kleine Tasse (150ml, 40mg) Die Halbwertszeit von Koffein im Körper beträgt 5h Was ist die Maximalmenge von Kaffe die er 5h vor einschlafen einnehmen kann. Wir bestimmen zuerst die menge an Koffein beim Einschlafen $k = \frac{\ln2}{t_{0.5}}$ $m_{ein} = m_{2h}e^{-kt}$ Wir wissen das in 5h die Menge an Koffein halbiert wird, also ist $m_{5h}=m_{ein}\cdot 2=2m_{2h}e^{-kt}$ $m_{5h}\approx 60mg$ Was eineinhalb Kaffe entspricht